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Von Ameisen am Green zu einem Naturschutzprojekt

Eine dieser „vergessenen“ Krisen ist die weltweite Biodiversitätskrise.
Ein Bericht von Dr. Florian Glaser | Technisches Büro für Biologie, Absam

Die zuckerhältigen Ausscheidungen von Blattläusen bilden eine wesentliche Nahrungsquelle für Ameisen. Blattläuse werden von Ameisen regelrecht gemolken. Nach Betrillern mit den Ameisenfühlern geben die Läuse am Hinterende einen Honigtrautropfen ab. Hier sieht man eine Rotrückige Sklavenameise Formica cunicularia bei der Blattlausbetreuung.
Foto: Florian Glaser


Eine im Ökosystem besonders bedeutende und vielseitige Funktion erfüllen die Ameisen (Formicidae), eine Insektenfamilie innerhalb der Ordnung der Hautflügler (Hymenoptera). Ameisen gehören zu den staatenbildenden Insekten und leben in Kolonien aus einer oder wenigen reproduzierenden Weibchen (Königinnen) und meist vielen, je nach Art, wenigen Dutzend bis Millionen (meist) nicht fortpflanzungsfähigen Arbeiterinnen, ebenfalls weiblichen Geschlechts. Die einzige Aufgabe der Männchen bildet die Befruchtung der Königin. Männchen entstehen aus unbefruchteten Eiern und sind haploid, besitzen also nur einen Chromosomensatz. Das Zusammenleben in einem Ameisenstaat ist energieaufwändig. Ameisen bauen hohe Biomassen auf, investieren viel in die soziale Lebensweise und verbrauchen entsprechend beachtliche Nahrungsmengen. Ihr Einfluss im Ökosystem und Position im Nahrungsnetz ist entsprechend hoch. Ameisen akkumulieren Nährstoffe in ihren Nestern, regulieren substantiell die Populationen andere Insekten, die ihnen als Proteinquelle dienen, sie verbreiten Samen, züchten und melken Blattläuse (dieser sogenannte Honigtau bildet die wesentliche Kohlenhydratquelle für viele Arten – wir schmieren ihn als Waldhonig auch gerne aufs Butterbrot). Nicht zuletzt beherbergen Ameisennester einen Mikrokosmos von hoch spezialisierten Wirbellosen, von der Ameisenbläulingsraupe bis zur Ameisengrille Aufgrund ihrer hohen Biomassen stellen sie auch eine wichtige Nahrungsgrundlage für viele Tierarten dar z.B. Raufußhühner, Spechte und sogar Großwild wie dem Braunbären.


Es ist also essentiell, sich für Ameisen zu interessieren. Leider hat das erwähnte Insektensterben auch vor den Ameisen nicht halt gemacht. Ein Blick in die Roten Listen, welche die Gefährdung von verschiedenen Tiergruppen beleuchten sollen, zeigt, dass viele Arten regional und national gefährdet sind. Einige Arten, wie die wegen ihrer auffälligen Nesthaufen aus Nadelbaumstreu bekannten und ihrem Nutzen als Gegenspieler verschiedener Forstschädlinge geschätzten Roten Waldameisen sind sogar streng geschützt.


Ameisen besiedeln nahezu alle Landlebensräume und fehlen nur in den Polarregionen und in den extremsten Gebirgsregionen. Manche Arten sind ausgesprochen anpassungsfähig und auch in menschlich stark überformten Gegenden zu Hause.
Einige wenige Arten dringen auch in Wohnbereiche und können als weltweit verschleppte „tramp species“ v.a. in tropischen und subtropischen Regionen ausgesprochen lästig sein. Andere Arten weisen hingegen ganz spezifische Lebensraumansprüche auf und sind nur in speziellen Lebensräumen z.B. in Mooren, Trockenrasen, im stehenden Totholz alter Bäume oder auf den Kies- und Sandbänken naturnaher Alpenflüsse zu finden. Genau das sind die Arten, die auch in den schon zitierten Roten Listen als gefährdet aufscheinen.
Natürlich leben auch auf Golfplätzen Ameisen. Eine AmeisenforscherIn würde hier aber keine anspruchsvolleren Arten erwarten. Intensive Platzpflege und nicht zuletzt der teils massive Einsatz von Düngemitteln und Bioziden sind der Insektenvielfalt dezidiert abträglich.
Vor zwei Jahren wurde mein Umweltbüro von den zuständigen Golfplatzbetreibern des Golfclub Seefeld-Wildmoos/Tirol über den Umstand informiert, dass Waldameisen in großer Anzahl auf den Greens herumlaufen. Zuerst dachte ich, dass die Krabbeltiere dort vielleicht lästig sind und den geordneten Spielbetrieb sabotieren, dass also kurz gesagt Wege gewünscht wären, den Ameisenbesuch am Green zu unterbinden. Ich erlebte aber eine positive Überraschung! Das Golfplatzteam wusste nicht nur über den Schutzstatus der Waldameisen Bescheid, sondern sorgte sich vielmehr, dass die kaum zu vermeidenden Individualverluste im Zuge der intensiven und bodennahen Mähfrequenz, vielleicht den Fortbestand der örtlichen, imposanten Waldameisenvölker gefährden könnten. Da konnte ich glücklicherweise beruhigen, in einem mittleren Waldameisennest können einige 100.000 Ameisenarbeiterinnen (und 100e Königinnen) leben. Ein Tribut an den Rasenmäher oder die Schuhsohlenunterseite eines Golfspielers stellen da einen verschmerzbarer Abschreibposten für die Kolonie dar.


Die Geschichte geht aber noch weiter! Der Platzverantwortliche Mag. Jakob Moncher und Greenkeepingconsulter Alexander Höfinger setzten mir auseinander, dass die Pflege des Golfplatzes sich auf dem Weg befindet, den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden möglichst zu reduzieren – ein sehr löblicher und nachhaltiger Schritt aus der Sicht des Natur- und Umweltschutzes. Außerdem war ich von der beeindruckenden Vielfalt an orchideen- und enzianübersäter Magerwiesen in den Roughs und als Ameisenforscher natürlich ganz besonders von den hohen Dichten von Waldameisennestern am Golfplatzareal positiv überrascht. Wie sich herausstellen sollte, handelte es sich dabei vor allem um die Schwach Behaarte Gebirgswaldameise Formica aquilonia. Sowohl die Wildblumenwiesen als auch die Waldameisenkolonien bilden natürlich eine Reminiszenz an die ehemalige extensive, landwirtschaftliche Nutzung durch Mahd und Waldweide. Erfreulicherweise blieb dieses Potenzial für die lokale Biodiversität aber über viele Jahrzehnte Golfplatzbetrieb erhalten.
Schnell bildete sich eine Idee: 1. Diese tierische und pflanzliche Vielfalt muss dokumentiert werden und 2. wenn es gelingt, die Pflege der Roughs so zu optimieren, dass die Bedürfnisse dieser mehr oder weniger spezialisierten Tiere und Pflanzen bestmöglich erfüllt werden, kann diese Biodiversität auch langfristig gesichert und erhalten werden. Das wäre nicht nur eine sinnvolle Gegenmaßnahme zur Biodiversitätskrise, sondern vielleicht auch eine Steigerung der Erlebnis- und Platzqualität für die durch geeignete Kommunikation sensibilisierte GolfspielerIn.
Mag. Jakob Moncher und ich entwickelten ein entsprechendes Projekt und konnten auch Finanzierungen unter anderem aus der Naturschutzförderstelle der Abteilung Umweltschutz der Tiroler Landesregierung sowie von privaten Sponsoren lukrieren (www.seefeldgolf.at/artenvielfalt).


Letztes Jahr wurde von Mag. Manfred Hotter (Büro WLM) bereits die Pflanzenwelt untersucht und erste Rückschlüsse für eine optimale Pflege wurden gezogen. Mit Untersuchungen zur Ameisenfauna durch mein Büro wurde ebenfalls 2021 gestartet. Heuer sind noch Bearbeitungen der Amphibien-, Reptilien-, Vogel-, Schmetterlings-, Wildbienen- sowie der Heuschreckenfauna vorgesehen. Der Zoologe und ausgezeichnete Naturfotograf Dr. Rudi Hofer begleitet das Projekt mit seiner Kamera. Wir sind jedenfalls gespannt auf die Ergebnisse!

Printausgabe: Greenkeeper News #83 | 1-2022

Ein Bericht von Dr. Florian Glaser
Technisches Büro für Biologie