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Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz

Dos und Don’ts für Arbeitgeber*innen und die Organisationskultur

Die Funktion einer Arbeitspsychologin in einem Betrieb ist ein wenig mit der eines Hofnarren am Hofe eines Königs im Mittelalter vergleichbar – man ist Belustiger*in, indem man launige Vorträge hält oder Beiträge schreibt, dabei darf man dann durchaus auch Kritik anbringen und Tabuthemen ansprechen; soviel Narrenfreiheit wird gewährt, und man steht natürlich für die Belegschaft als Berater*in, neuerdings auch Coach genannt, zur Verfügung, bei der man sich ‚ausweinen‘ kann und (hoffentlich) gut beraten wird. Ändern wird sich im Königtum wegen des Hofnarren aber wenig!

Also setze ich mir mal wieder meine ‚Narrenkappe‘ auf und gebe wieder, was wir Arbeitspsycholog*innen so zum Thema Burnout-Prophylaxe am Arbeitsplatz zu sagen hätten…

In allen Organisationen, ob es sich jetzt um große Organisationen handelt oder um kleinere Betriebe, die Organisationskultur steht und fällt mit den Führungskräften und deren Führungsverhalten. Mitarbeiter*innen kündigen in 60% der Fälle nicht ihren Job, sondern sie kündigen der Führungspersönlichkeit – und das inkludiert auch das ‚Quiet Quitting‘. Interessanterweise unterschätzen aber in nahezu allen Organisationen eben diese Führungskräfte ihren Einfluss auf die Gesundheit (psychisch und physisch) und Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter*innen. Wie sehr oder wie wenig sich diese engagieren, wie motiviert oder demotiviert sie zur Arbeit kommen und auch wie zuverlässig oder fehleranfällig die geleistete Arbeit ist, hat ganz viel mit der Führungskraft zu tun.

Dabei gilt aber das alte Sprichwort „Der Fisch beginnt immer am Kopf zu stinken“. Das heißt, die Organisationskultur wird immer Top-Down, also von oben nach unten festgelegt – wenn Organisationen also an der Spitze Führungskräfte/Manager*innen haben, die vor allem darauf achten, dass der Personalstand möglichst gering bleibt (meist beruft man sich dabei auf Kostengründe), wobei die Kund*innen-Zufriedenheit (oder auch Zufriedenheit der Aktionär*innen) natürlich vorrangig hoch zu bleiben hat, dann kann selbst die beste Führungskraft im mittleren oder unteren Bereich, die ich mir als Arbeitspsychologin vorstellen kann, nichts bewirken. Mitarbeiter*innen werden unzufrieden sein, es wird zu Konflikten, vielleicht sogar Mobbing kommen, Krankenstände nehmen zu und/oder Mitarbeiter*innen kündigen.

Selbstverständlich ist Kund*innen-Zufriedenheit bei jeder Form einer Dienstleistung das A und O, aber wir Menschen sind reziprok-interagierende Wesen, d.h. wenn ich etwas hergebe, möchte ich auch irgendetwas zurück. Will ich als Arbeitgeber*in also Motivation und Engagement von meinen Mitarbeiter*innen, so sind das intrinsische, ideelle Güter, die man sich nicht alleine mit einem sicheren Job, Geld oder Zeitausgleich kaufen kann – sondern dafür braucht es auch zusätzlich Sichtbarkeit, Gehört-Werden und Wertschätzung. Organisationskulturen, die nur auf die Bedürfnisse ihrer Kund*innen achten, aber sich für die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter*innen keine Zeit nehmen und diesbezügliche Anfragen mit dem Verweis auf (zu) hohe Kosten sofort abwürgen, werden letztlich mehr kranke Mitarbeiter*innen haben und auch mehr Fluktuation.

Was mich wieder zur Wichtigkeit der Führungskräfte zurückbringt, denen eine größere Bedeutung zukommt, als den meisten bewusst ist.

Führungskräfte sind Vorbilder im Guten wie auch im Schlechten; so erhöhen Führungskräfte mit sehr hohen Leistungsansprüchen das Burnout-Risiko ihrer Mitarbeiter*innen, während solche, die sich selbst gut abgrenzen können und auf ihre Work-Life-Balance aufpassen, auch eher auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen achten. Geringere Krankenstands-Zahlen sind die Folge.

Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter*innen sehr unterschiedlich behandeln, d.h. für sie gibt es Mitarbeiter*innen, die sich im inneren Kreis befinden und solche, die außerhalb stehen, werden dann auch wenig überraschend feststellen, dass der Teamzusammenhalt wenig optimal läuft und dass es Gruppierungen und Ausgrenzungen gibt – dass dann auch die Arbeitsleistung sinkt, ist nur eine triviale Folgeerscheinung.

Führungskräfte, die ihren Mitarbeiter*innen nicht vertrauen und diese über Micro-Managements permanent zu kontrollieren versuchen, werden letztlich im Sinne einer ‚Selbsterfüllenden Prophezeiung‘ solche Mitarbeiter*innen bekommen, die sie tatsächlich ständig kontrollieren müssen und denen sie nicht vertrauen können.

Führungskräfte, deren eigenes Zeitmanagement schlecht ist oder die selbst sehr unstrukturiert vorgehen, werden mit Teams ringen, die nie etwas rechtzeitig fertigbringen und wo Arbeitsprozesse selten rund laufen.

Führungskräfte, die sich keine Zeit nehmen, mit ihren Mitarbeiter*innen zu reden und sich deren Probleme und vor allem auch Problemlösungsvorschläge anzuhören, werden nicht nur den Bezug zur Arbeit und den realen Problemen, sondern auch zu den Menschen in ihrem Team verlieren.

Außerdem möchte ich allen Führungskräften ins Stammbuch schreiben, ihre Teams und damit auch die Mitarbeiter*innen so zu nehmen wie sie sind; es sind erwachsene Menschen mit ausgereiften Persönlichkeitsstrukturen, die sich aus psychologischer Perspektive kaum mehr ändern werden. Das bedeutet, arbeiten Sie die Stärken des Einzelnen heraus und leben Sie mit den Schwächen, geben Sie konstruktives Feedback und – ganz wichtig – (zer)stören sie niemals funktionierende Teams!

Eine nachhaltige Stress- und Burnout-Prophylaxe besteht darin, dass Führungskräfte darauf achten, dass Arbeiten mit dem bestehenden Personalstand bei gleichbleibender Qualität auch realistisch umsetzbar bleiben – Wunschvorstellungen von oben mag es geben, aber manchmal ist hier ein NEIN die einzige mutige Antwort – entweder sinkt dann die Qualität oder es braucht einfach mehr Personal!

Und an dieser Stelle auch noch ein Input zur Kommunikation, denn sehr oft geben Führungskräfte den Druck von oben nicht nur arbeitsmäßig an ihre Mitarbeiter*innen weiter, sondern auch mit Steh-Sätzen, wie „Es geht uns doch allen so!“ oder „Mir geht es auch nicht besser!“. Das ist für niemanden ein Trost, sondern lässt das Team letztlich auch emotional führungslos zurück.

Eigentlich sollte man im Jahr 2025 über den nächsten Punkt nicht mehr reden bzw. schreiben müssen – aber bitte, liebe Arbeitgeber*innen und liebe Führungskräfte, achtet auf die Einhaltung von Arbeits- und Erholungszeiten und auf ungestörte Urlaube und Urlaubsvertretungen. Zu lange Arbeitszeiten und zu wenig Zeit, sich zu erholen, inklusive permanenter Erreichbarkeit, erhöhen nicht nur das Risiko für Arbeitsunfälle, sondern sind einer der Hauptgründe für Burnout. Wer sich zeitmäßig im Job gefangen fühlt und keine Chance (mehr) sieht, aus der ‚Tretmühle‘ auszusteigen, ist bereits mitten drinnen in der Burnout-Spirale.

Wo Menschen zusammenarbeiten, da ‚menschelt‘ es, da gibt es kleinere und größere Missverständnisse, da können Emotionen schon mal hochkochen und hin und wieder kommt es sogar zu echten Konflikten. Konflikte sind aber nichts, was wie eine Erkältung nach ungefähr einer Woche wieder verschwindet, sondern diese ziehen sich eher wie ein chronisches Leiden durch Teams und den Arbeitsalltag, lähmen Abläufe und beschäftigen alle Betroffenen. Besonders belastend sind dabei Konflikte mit der Führungskraft selbst. Konflikte müssen daher bearbeitet werden, gegebenenfalls auch mit Hilfe von externer Mediation, denn psychische Verletzungen stehen häufig am Beginn eines Burnout-Prozesses.

Übrigens ist ein positives Team-Klima ein ganz wichtiger Resilienz-Faktor für die psychische Gesundheit der Mitarbeiter*innen – und ja, Team-Klima ist immer Chef-Sache. Beginnend ganz oben, in den obersten Führungsetagen, wird Freundlichkeit, Wertschätzung, soziale Verantwortung, Integrität etc. vorgelebt und so in die nächsten Führungsebenen weitergetragen. Über dieses ‚Trickling Down‘ –  das von oben nach unten Rieseln, ganz wie bei einem Wasserfall – kann so eine positive organisationskulturelle Grundhaltung bis zu den einzelnen Teams durchsickern. Umgekehrt funktioniert das übrigens genauso: Toxizität in den obersten Führungsetagen kommt genauso auch irgendwann unten an – dazu haben wir mehr als genug Beispiele.

Und damit noch ein letztes wichtiges organisationskulturelles Thema – psychische Krankheiten dürfen am Arbeitsplatz kein Tabuthema mehr sein und nein, Burnout ist keine neue Modeerkrankung, die eh jeder schon hat! Insbesondere bei den jungen Mitarbeiter*innen der Generation Z (Jahrgänge 1996-2010) müssen Arbeitgeber*innen damit rechnen, dass ca. ein Drittel schon einmal psychisch erkrankt war und demnach vulnerabel ist. Eine psychische Erkrankung, wie auch die Burnout-bedingte Depression, ist eine schwere, das Leben der Betroffenen oft nachhaltig verändernde Krankheit, die häufig mindestens ein halbes Jahr Krankenstand, Medikamente und Psychotherapie bedeutet. Jede Burnout-Depression, die verhindert werden kann, ist daher ein Erfolg!

Aber was würde ich denn als Arbeitspsychologin in einer Welt mit optimalen Arbeitgeber*innen und die Resilienz der Mitarbeiter*innen stärkenden Führungskräften beruflich noch machen – mein Tagwerk wäre getan, ich hätte nichts mehr zu tun und mein Job wäre genauso überholt, wie der des mittelalterlichen Hofnarren? Aber ehrlich, das Risiko ginge ich gerne ein.

von Elisabeth Ponocny-Seliger
Arbeitspsychologin, Klinische & Gesundheitspsychologin, Notfallpsychologin und Universitätslektorin